Hoher Druck ordnet Elektronen
Supraleiter transportieren Strom ohne Verluste. Diese Materialien weisen unterhalb bestimmter Temperaturen keinen elektrischen Widerstand mehr auf. Allerdings sind sie dabei auf extreme Kälte angewiesen: Klassische Supraleiter müssen dazu fast bis zum absoluten Nullpunkt – minus 273 Grad Celsius – heruntergekühlt werden. Selbst die sogenannten Hochtemperatur-Supraleiter benötigen noch Temperaturen von etwa minus 200 Grad Celsius, um Strom widerstandsfrei zu leiten. Trotz der aufwendigen Kühlung werden Supraleiter bereits in verschiedenen Bereichen eingesetzt. Um Supraleiter zu entwickeln, die bei höheren Temperaturen arbeiten, eventuell sogar bei Raumtemperatur, müssen die entscheidenden Zustände und Vorgänge in supraleitenden Materialien grundlegend verstanden werden.
In einer internationalen Zusammenarbeit sind Forscher vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble/Frankreich, dem Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Universidad Nacional de La Plata/Argentinien dabei nun einen wesentlichen Schritt vorangekommen: Sie haben gezeigt, dass hoher einachsiger Druck konkurrierende Zustände in einem Hochtemperatur-Supraleiter kontrollieren kann. Eine Publikation in der Zeitschrift Science stellt die Ergebnisse vor.
Mit hochauflösender inelastischer Röntgenstreuung - dabei wird das Streulicht von Röntgenstrahlen auf eine Probe vermessen - untersuchten die Wissenschaftler den Hochtemperatur-Supraleiter YBa2Cu3O6.67. Das Material gehört zu den sogenannten Kupraten und ist komplexe Verbindungen aus Kupfer, Sauerstoff und weiteren Elementen. Kupfer- und Sauerstoffatome bilden zweidimensionale Schichtstrukturen (siehe Abbildung). Werden zusätzliche Ladungsträger in diese Ebenen eingeführt, kommt es zu komplexen und miteinander konkurrierenden Zuständen: Die Kopplung zwischen Ladungsträgern führt zur Supraleitung, eine starre Ladungsordnung dagegen verhindert sie. Unter Ladungsordnung versteht man die Bildung von streifenförmigen Nanostrukturen der zusätzlichen Ladungsträger, welche diese unbeweglich macht und so die Supraleitung unterdrückt. Auch periodische Schwankungen in der Verteilung der elektrischen Ladungen, sogenannte Ladungsdichtewellen (CDW – charge density waves), verhindern die Supraleitung. Durch chemische Beimengungen, als Doping bezeichnet, oder durch externe Magnetfelder lassen sich diese Zustände variieren. Die Interpretation solcher Experimente wird allerdings durch Gitterfehler und zufällig festgehaltene magnetische Wirbel erschwert.
Dagegen ermöglicht einachsiger Druck, das Verhältnis zwischen Ladungsdichtewellen und Supraleitung präzise zu untersuchen. Mit einer Druckzelle, die am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden entworfen und gebaut wurde, zeigten die Forscher in ihren Untersuchungen, dass hoher Druck entlang einer Kristallachse in den Kupratschichten des untersuchten Hochtemperatur-Supraleiters YBa2Cu3O6.67 zu einem weitreichenden dreidimensionalen Ladungsdichtewellen-Zustand führt, ohne dass dazu Magnetfelder erforderlich sind. Die Ergebnisse ermöglichen neue, detaillierte Einblicke in die Funktion von Hochtemperatur-Supraleitern und anderen elektronisch korrelierten Materialien. Darüber hinaus zeigen sie, dass einachsiger Druck es erlaubt, die Ordnung der Elektronen in solchen Materialien zu kontrollieren.
HR, AM / CPfS