Neuartige Quantenzustände in Metallen

Forschungsbericht (importiert) 2012 - Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe

Autoren
Kirchner, Stefan; Wirth, Steffen; Pfau, Heike; Friedemann, Sven; Stockert, Oliver; Geibel, Christoph; Si, Qimao; Steglich, Frank
Abteilungen
Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe, Dresden
Zusammenfassung
Quantenphasenübergänge sind zentraler Gegenstand der aktuellen Festkörperforschung. Insbesondere quantenkritische Punkte in metallischen Systemen sind bisher nur unvollständig verstanden. Wie sich zeigt, versagt die traditionelle Theorie der Metalle in der Nähe einer neuartigen Klasse von quantenkritischen Punkten. Ein tieferes Verständnis der Physik dieser neuartigen Quantenzustände liefert wertvolle neue Einsichten in das Auftreten von Magnetismus und Supraleitung in komplexen Materialien.

Die Eigenschaften der uns im täglichen Leben umgebenden Metalle, wie z. B. Aluminium, werden maßgeblich durch das Verhalten der Elektronen mitbestimmt. Obwohl die Elektronen sich gegenseitig aufgrund ihrer negativen Ladung abstoßen und auch mit den positiven Ladungen der Atomkerne wechselwirken, verhalten sich die Elektronen in Aluminium oder Kupfer so, als wären sie unbeeinflusst voneinander. Die Standardtheorie der Metalle, die auf den russischen Physiker Lev Landau zurückgeht und unter dem Namen Landau'sche Fermi-Flüssigkeitstheorie bekannt ist, erklärt, warum die Elektronen in vielen Metallen als nahezu unabhängig voneinander behandelt werden können, sofern deren gegenseitiger Abstand größer ist als die sogenannte Abschirmlänge, die für die meisten Metalle von der Größenordnung des mittleren Atomabstandes ist. Ein weiterer Erfolg der Landau-Theorie ist die Erklärung des Wiedemann-Franz Gesetzes, das aussagt, dass bei genügend tiefen Temperaturen das Verhältnis aus thermischer und elektrischer Leitfähigkeit eines Metalls proportional zur Temperatur ist, da jedes Elektron eine feste Ladung und für eine gegebene Temperatur eine bestimmte Wärmemenge transportieren kann. Die Landau'sche Fermi-Flüssigkeitstheorie kann auch auf Metalle ausgedehnt werden, die, wie z. B. Eisen, Magnetismus ausbilden. Das magnetische Moment in Eisen bildet sich bei ungefähr 770 Grad Celsius, der Curie-Temperatur für Eisen, spontan aus und führt zu den bekannten magnetischen Eigenschaften für alle Temperaturen unterhalb der Curie-Temperatur. Da das magnetische Moment kontinuierlich verschwindet, also für Temperaturen umso geringer ist, je näher man der Curie-Temperatur kommt, bis es bei der Curie-Temperatur und oberhalb davon völlig verschwindet, spricht man von einem kontinuierlichen Phasenübergang. Auch in Chrom bildet sich magnetische Ordnung aus, die bei etwa 40 Grad Celsius einsetzt. Hier handelt es sich allerdings um antiferromagnetische Ordnung, bei der sich das totale magnetische Moment stets weghebt. Die Temperatur, unterhalb der sich antiferromagnetische Ordnung ausbildet, nennt man die Néel-Temperatur.

Im Zentrum der Festkörperforschung stehen seit einigen Jahren Systeme, bei denen die Curie- oder Néel-Temperatur als Funktion äußerer Parameter, wie z. B. des hydrostatischen Druckes oder eines angelegten magnetischen Feldes verschwindet. Diese Systeme durchlaufen dann einen kontinuierlichen Quantenphasenübergang, dessen Eigenschaften durch die Quantenmechanik wesentlich mitbestimmt wird. Die Konsequenzen solcher Quantenphasenübergänge lassen sich in einem relativ weiten Temperaturbereich um den kritischen hydrostatischen Druck bzw. das kritische angelegte magnetische Feld beobachten. Die aktuelle Forschung am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe in Zusammenarbeit mit der Partnergruppe am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (Dresden) und Forschern der Rice University in Houston, USA hat gezeigt, dass eine neuartige Klasse von elektronischen Quantenphasenübergängen existiert, in deren Nähe die Standardtheorie der Metalle zusammenbricht. Die gewonnenen Erkenntnisse führen zu einem besseren Verständnis korrelierter Materie und die notwendigen Bedingungen für das Auftreten unkonventioneller Phasen.

Schwere-Fermionen-Verbindungen sind intermetallische Verbindungen, die Seltenerdmetalle oder Actinoide enthalten, und die aufgrund der nur teilweise gefüllten 4f- bzw. 5f-Schalen stark lokalisierte magnetische Momente besitzen können [1]. Diese wechselwirken stark mit den Leitungselektronen, die für den metallischen Charakter dieser Verbindungen verantwortlich sind, und bilden damit die Basis für den sogenannten Kondo-Effekt. Wenn dieser Effekt voll ausgebildet ist, können die metallischen Eigenschaften dieser Systeme im Allgemeinen immer noch durch die Landau'sche Fermi-Flüssigkeitstheorie beschrieben werden; allerdings verhalten sich die Elektronen in diesen Systemen so, als hätten sie eine stark erhöhte Masse, die etwa tausendmal größer sein kann als in einfachen Metallen. Die Materialklasse verdankt ihren Namen dieser schweren Fermi-Flüssigkeit. Da bei voll ausgebildetem Kondo-Effekt die lokalisierten 4f- bzw. 5f-Zustände an den elektronischen Eigenschaften der schweren Fermi-Flüssigkeit teilnehmen, erwartet man eine erhöhte Ladungsträgerkonzentration und eine entsprechend große Fermi-Fläche. Die schwere Fermi-Flüssigkeit kann analog zu den einfachen Metallen, wie z. B. Eisen oder Chrom, magnetische Ordnung ausbilden. Im Grenzfall verschwindender Curie- oder Néel-Temperatur findet als Funktion eines Kontrollparameters (δ in Abb. 1(a)) ein kontinuierlicher Phasenübergang bei T = 0 statt, also ein Quantenphasenübergang. Typischerweise bleibt am quantenkritischen Punkt der Kondo-Effekt voll ausgebildet. Diese Klasse von Quantenphasenübergängen wird häufig Spin-Dichtewellen-Übergang oder kurz SDW-Übergang genannt. Die quantenkritischen Eigenschaften des SDW-Übergangs sind durch die Standardtheorie der kritischen Phasenübergänge gut erklärbar. Da die schweren Elektronen, die die fundamentalen Anregungen der schweren Fermi-Flüssigkeit beschreiben, am quantenkritischen Punkt erhalten bleiben, ist die Fermi-Fläche am quantenkritischen Punkt unverändert groß (Abb. 1 (a)). Der Hall-Effekt, der die effektive Ladungsträgerkonzentration misst, zeigt daher selbst bei tiefster Temperatur eine kontinuierliche Entwicklung in der Nähe des SDW-Übergangs. Im quantenkritischen Regime zeigen z. B. die Leitfähigkeit oder die Wärmekapazität Signaturen, die von einer Fermi-Flüssikeit abweichen. Die schweren Elektronen aber bleiben weiterhin intakt, was eindrucksvoll bestätigt wird durch die Gültigkeit des Wiedemann-Franz Gesetzes am quantenkritischen Punkt des Spin-Dichtewellen Phasenübergangs [2].

Auf die Möglichkeit einer Alternative zum SDW-Übergang wurde theoretisch zuerst in den Arbeiten von Q. Si, P. Coleman und Mitarbeitern hingewiesen [3]. In deren Szenario bricht der Kondo-Effekt, der die 4f- bzw. 5f-Zustände an die Leitungselektronen bindet, am quantenkritischen Punkt zusammen (Abb. 1(b)). Dieses Aufbrechen der schweren Ladungsträger lokalisiert die 4f- bzw. 5f-Zustände auf den Seltenerd- bzw. Actinoid-Atomen, die dadurch nicht mehr für den Ladungstransport zur Verfügung stehen. Die Fermi-Fläche verändert sich abrupt am quantenkritischen Punkt, um der reduzierten Ladungsträgerkonzentration in der antiferromagnetischen Phase Rechnung zu tragen (Abb. 1(b)). Unter den Seltenerd-Übergangsmetallverbindungen, die quantenkritisches Verhalten zeigen, hat sich die Verbindung YbRh2Si2 als ein besonders interessantes System erwiesen [1]. Hier sind die Effekte der Elektron-Elektron Wechselwirkung besonders groß und führen zu einer effektive Elektronenmasse, die etwa tausendmal größer ist, als in einem einfachen Metall, wie z. B. Silber. Der Grundzustand der Verbindung ordnet antiferromagnetisch mit einer Néel-Temperatur von nur T ≈ 0,065 K, sodass sich die magnetische Ordnung durch Anlegen eines kleinen, sogenannten kritischen Feldes unterdrücken lässt. Hall-Effekt Messungen erlauben oft eine Abschätzung der effektiven Ladungsträgerkonzentration neff gemäß RH ~ 1/neff. Solche Messungen an YbRh2Si2 über das kritische Feld hinweg zeigen bei endlichen Temperaturen eine Entwicklung von einer niedrigen Ladungsträgerkonzentration auf der antiferromagnetischen Seite des Übergangs zu einer höheren Ladungsträgerkonzentration in der nichtmagnetischen, schweren Fermi-Flüssigkeit [5]. Je tiefer die Temperatur ist, desto schärfer ist der Übergang (Abb. 2(a)). Wie Abbildung 2(b) zeigt, verjüngt sich die Breite des Übergangs dabei linear mit der Temperatur. Die Extrapolation nach T = 0 ist somit gut durchführbar und zeigt, dass die Ladungsträgerkonzentration neff direkt am Quantenphasenübergang springt (Abb. 2(a)). Dieses Verhalten signalisiert, dass die schweren Elektronen am Quantenphasenübergang aufbrechen. Das lineare Verhalten, das im Hall Effekt gemessen wird, deutet auf eine spezielle Eigenschaft der elementaren Anregungen im quantenkritischen Bereich hin, die als dynamische Skaleneigenschaft bekannt ist und für das kritische Aufbrechen der schweren Elektronen im Rahmen der sogenannten lokalen Quantenkritikalität erwartet wird [3,6].

Diese Eigenschaft trifft hingegen nicht auf die Elektronen einer Fermi-Flüsigkeit zu. Tatsächlich gilt das Wiedemann-Franz Gesetz am quantenkritischen Punkt in YbRh2Si2 nicht, ist jedoch zu beiden Seiten des quantenkritischen Punktes erfüllt [7]. Dies demonstriert, dass beim kritischen Feld in YbRh2Si2 die Fermi-Flüssigkeitstheorie auf fundamentale Weise zusammenbricht. Direkte Untersuchungen der Einteilchenanregungen am quantenkritischen Punkt werden jedoch durch die niedrigen Temperaturen und die kleinen Magnetfelder erschwert, bei denen das lineare Verhalten im Hall Effekt einsetzt. Methoden, die die Einteilchenanregungen direkt messen können, wie z. B. Photoelektronen-Spektroskopie oder der de-Haas-van Alphen Effekt sind daher nicht anwendbar. Eine Alternative zu diesen Messmethoden ist die Rastertunnelspektroskopie, deren Anwendung auf Schwere-Fermionen-Systeme am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe pioniert wurde. Eine schematische Darstellung der Funktionsweise des Rastertunnelmikroskopos zeigt Abbildung 3.

Bei Anwendung der Rastertunnelmikroskopie auf Schwere-Fermionen-Systeme und der theoretischen Interpretation des gemessenen Leitwerts (Abb. 4) muss berücksichtigt werden, dass den Tunnelelektronen mehrere Tunnelpfade zur Verfügung stehen: Zum einen können Leitungselektronen tunneln, zum anderen können auch die 4f- oder 5f- Zustände die Tunnelelektronen bereitstellen. Damit lässt sich insbesondere die Ausbildung des Kondo-Effekts und das Herausbilden der schweren Elektronen mit der Rastertunnelspektroskopie gut verfolgen. Die Ergebnisse für YbRh2Si2 wurden in Referenz [8] veröffentlicht. Die Ausdehnung der Untersuchungen auf die quantenkritischen Einteilchenanregungen und deren Skalenverhalten in YbRh2Si2 sind Gegenstand laufender Untersuchungen am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe.

Aus den Untersuchungen zu den verschiedenen Phasenübergängen bei T = 0 in korrelierten Metallen gewinnt man ein verbessertes Verständnis der möglichen Quantenzustände in diesen Systemen. Supraleitung, also das völlige Verschwinden des elektrischen Widerstandes bei tiefen Temperaturen, ist ein solcher Quantenzustand korrelierter Materie. Er tritt häufig in der Nähe von magnetischen Quantenphasenübergängen auf [1]. Das Wechselspiel zwischen Supraleitung und Quantenkritikalität am SDW-Übergang wurde unlängst an CeCu2Si2 an unserem Institut untersucht [9]. Dabei stellte sich heraus, dass die dynamische Ausbildung des Kondo-Effekts bei endlichen Temperaturen das Einsetzen der Supraleitung beeinflusst [10]. Inwieweit unkonventionelle Quantenkritikalität, wie sie z. B. in YbRh2Si2 beobachtet wird, das Einsetzen von Supraleitung beeinflusst, ist Gegenstand gegenwärtiger Forschung am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe.

Literaturhinweise

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Si, Q.; Steglich, F.
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Science 329, 1161-1166 (2010)
2.
Smith, R. P.; Sutherland, M.; Lonzarich, G. G.; Saxena, S. S.; Kimura, N.; Takashima, S.; Nohara, M.; Takagi, H.
Marginal breakdown of the Fermi-liquid state on the border of metallic ferromagnetism
Nature 455, 1220-1223 (2008)
3.
Si, Q.; Rabello, S.; Ingersent, K.; Smith, J.
Locally critical quantum phase transitions in strongly correlated metals
Nature 413, 804-808 (2001)
4.
Coleman, P.; Pépin, C.; Si, Q.; Ramazashvili, R.
How do Fermi liquids get heavy and die?
Journal of Physics: Condensed Matter 13, R723-R738 (2001)
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Friedemann, S.; Oeschler, N.; Wirth, S.; Krellner, C.; Geibel, C.; Steglich, F.; Paschen, S.; Kirchner, S.; Si, Q.
Fermi-surface collapse and dynamical scaling near a quantum-critical point
Proceedings of the National Academy of Science 107, 14547-14551 (2010)
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Kirchner, S.; Si, Q.
Scaling and enhanced symmetry at the quantum critical point of the sub-ohmic Bose-Fermi Kondo model
Physical Review Letters 100, 026403 (2008)
7.
Pfau, H.; Hartmann, S.; Stockert, U.; Sun, P.; Lausberg, S.; Brando, M.; Friedemann, S.; Krellner, C.; Geibel, C.; Wirth, S.; Kirchner, S.; Abrahams, E.; Si, Q.
Thermal and electrical transport across a magnetic quantum critical point
Nature 484, 493-497 (2012)
8.
Ernst, S.; Kirchner, S.; Krellner, C.; Zwicknagl, G.; Geibel, C.; Steglich, F.; Wirth, S.
Emerging local Kondo screening and spatial coherence in the heavy-fermion metal YbRh2Si2
Nature 474, 362-366 (2011)
9.
Stockert, O.; Arndt, J.; Faulhaber, E.; Geibel, C.; Jeevan, H. S.; Kirchner, S.; Loewenhaupt, M.; Schmalzl, K.; Schmidt, W.; Si, Q.; Steglich, F.
Magnetically driven superconductivity in CeCu2Si2
Nature Physics 7, 119-124 (2011)
10.
Stockert, O.; Kirchner, S.; Si, Q.; Steglich, F.
Superconductivity in Ce- and U-Based “122” heavy-fermion compounds
Physical Society of Japan 81, 011001 (2012)
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