Von der Alchimie zur Quantendynamik: Auf der Spur von Supraleitung, Magnetismus und struktureller Instabilität in den Eisenpniktiden
Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe
Supraleitung und Magnetismus
Magnetismus und die Fähigkeit elektrischen Strom zu leiten sind zwei Materialeigenschaften, die einerseits von herausragender Bedeutung für die heutige Technik sind, deren Untersuchung andererseits eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Physik spielte. Während die üblichen elektrischen Leiter, die uns alltäglich begegnen, dem elektrischen Strom einen kleinen, aber endlichen Widerstand leisten, der zu Energieverlusten führt, wurde vor genau 100 Jahren in Holland das Phänomen der Supraleitung entdeckt, bei dem der elektrische Widerstand vollständig verschwindet [1]. Obwohl Supraleitung bis vor einigen Jahren nur bei sehr tiefen Temperaturen beobachtet wurde (die eine aufwendige Kühlung erfordern), bieten Supraleiter für spezielle Anwendungen, wie z. B. die Erzeugung sehr starker Magnetfelder, so große Vorteile, dass sie schon seit Jahrzehnten industriell hergestellt werden und einen breiten Einsatz, insbesondere in der Medizin und der Chemischen Analytik, gefunden haben.
Gut 47 Jahre nach der Entdeckung war mit der – nach ihren Schöpfern benannte – BCS Theorie [2] auch der theoretische Unterbau für die Supraleitung geschaffen. Aufgrund zahlreicher experimenteller Ergebnisse und in Übereinstimmung mit diesen theoretischen Überlegungen galten lange Zeit Supraleitung und Magnetismus als konkurrierende Eigenschaften, die sich gegenseitig ausschließen. Es war deshalb eine Überraschung, als 1979 Prof. Dr. F. Steglich, der spätere Gründer des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe (MPI-CPfS), berichtete, dass in der Verbindung CeCu2Si2 nicht nur beide Phänomene gleichzeitig auftreten, sondern dass Magnetismus in dieser Verbindung sogar Vorraussetzung für das Entstehen der Supraleitung ist [3]. Wurde dieser Effekt zunächst nur in einem kleinen Kreis diskutiert, entwickelte er sich mit der Entdeckung von Hochtemperatur-Supraleitung in den Cupraten im Jahr 1996 [4] zu einem zentralen Thema der Festkörperphysik. In den Cupraten ist die Supraleitung bis zu vergleichsweise sehr hohen Temperaturen stabil, was sie für Anwendungen sehr attraktiv macht. Auch dort gibt es viele Hinweise, dass Magnetismus Vorrausetzung für die Supraleitung ist. Da sich diese Art der Supraleitung von der früher bekannten deutlich unterscheidet, wird sie als unkonventionelle Supraleitung bezeichnet. Diese ist trotz intensiver, weltweiter Bemühungen bisher nicht verstanden. Die Entdeckung von unkonventioneller Supraleitung in dotiertem LaFeAsO [5] im Jahr 2008 und – kurze Zeit später – in zahlreichen weiteren Eisenpniktiden (Pniktide sind Verbindungen mit den Elementen Phosphor, Arsen, Antimon und Wismut) eröffnete einen neuen Zugang zu einem besseren Verständnis dieses Phänomens und gab damit dem ganzen Gebiet einen kräftigen Schub.
Synthese und Züchtung von Einkristallen
Die Supraleitung wurde zunächst durch Dotierung der Verbindung LaFeAsO mit Fluor (F) beobachtet [5] . Durch Ersetzen des Seltenerdmetalls Lanthan durch andere Elemente dieser Gruppe, z. B. Cer und Samarium, konnte die Sprungtemperatur Tc, unterhalb der die Supraleitung eintritt, von ursprünglichen 25 K bis auf 56 K erhöht werden. Da in diesen Verbindungen La, Fe, As und O in gleichen Anteilen vorhanden sind, spricht man von den 1111 Verbindungen. Die starke chemische Reaktionsfähigkeit und der hohe Dampfdruck von Arsen sowie die Tatsache, dass diese Art von Verbindungen an der Grenze zwischen metallischen und oxidischen Verbindungen liegt, macht die Synthese und insbesondere die Züchtung von 1111 Einkristallen zu einer Herausforderung. Erschwerend kommt hinzu, dass über die chemischen Eigenschaften dieser Materialien, wie z. B. Schmelzpunkt, Dampfdrücke, Stabilität gegenüber Zersetzungsprodukten, nichts bekannt ist. Dadurch ist der Kristallzüchter in Wesentlichen auf seine Intuition angewiesen, weshalb die Herangehensweise oft alchimistische Züge annimmt. Durch den Trick, die benötigten Elemente, z. B. Ce, Fe, As und O, in einem Metall mit niedrigem Schmelzpunkt zu lösen – in diesem Fall Zinn (Sn) – wird sowohl der Dampfdruck, als auch die Reaktivität deutlich herabgesetzt. Das Sn-Bad wird zunächst auf eine hohe Temperatur (Temperatur typischerweise oberhalb 800°C) erhitzt und einige Stunden auf dieser Temperatur gehalten, um alle Elemente vollständig zu lösen. Danach wird die Lösung langsam abgekühlt, dabei wird die Lösung übersättigt und Verbindungen scheiden sich ab. Hat man das richtige Gespür gehabt und ist mit der richtigen Mischung gestartet, hat man die richtige Temperatur und die richtige Abkühlrate eingestellt, so erhält man die gewünschte Verbindung und wenn alles sehr gut läuft, auch schöne Einkristalle. Das Herausfinden der richtigen Parameter erfordert aber manchmal Jahre. Aufgrund seiner Expertise gelang es dem Kristallzuchtlabor des MPI-CPfS als weltweit erster Gruppe die Züchtung größerer Einkristalle der 1111 Verbindungen [6]. Sie sind auch derzeit die einzigen, die größere 1111 Einkristalle von sehr hoher Qualität herstellen können. Ein Grund dafür ist die Verwendung von hochschmelzenden Tantal-Tiegeln anstatt der üblich eingesetzten Quarzampullen (Abb. 1). Das Sn-Bad kann damit auf Temperaturen bis zu 1600°C erhitzt werden, einem Temperaturbereich, in dem die Löslichkeit der verschiedenen Elemente sehr viel höher ist als bei 800°C – und eine hohe Löslichkeit führt zu größeren Einkristallen.
Magnetische Ordnung und strukturelle Umwandlung
Die Materialentwicklungsgruppe des MPI-CPfS gehörte auch zu den ersten Gruppen, die nach der Entdeckung der Supraleitung in dotiertem LaFeAsO erkannten, dass ähnliche Eigenschaften auch in Verbindungen des Typs AFe2As2 (A = Erdalkalimetal) zu erwarten waren. Die Herstellung und Einkristallzüchtung dieser 122 Verbindungen ist wesentlich einfacher, weshalb größere Einkristalle zur Bestimmung physikalischer Kenngrößen zur Verfügung stehen. An ihnen werden am MPI-PfS als erste Größen der elektrische Widerstand ρ(T), die magnetische Suszeptibilität χ(T) und die spezifische Wärme Cp(T) als Funktion der Temperatur gemessen, typischerweise zwischen 2 K und 300 K (Raumtemperatur). Alle drei Größen sind im linken Teil von Abbildung 2 für die Verbindung SrFe2As2 dargestellt [7]. Man erkennt bei 205 K eine sprungartige Zunahme in ρ(T) und χ(T) und eine scharfe, hohe Spitze in Cp(T). Dies war der erste Hinweis, dass in SrFe2As2 die magnetische Ordnung und die Strukturumwandlung gleichzeitig und abrupt einsetzen, in der Fachsprache ist dies ein Phasenübergang erster Ordnung. Bisher war bekannt, dass in den 1111 Verbindungen zunächst die Strukturumwandlung und etwa 20 K tiefer die magnetische Ordnung auftritt und dass beide Phänomene eher kontinuierlich ablaufen (ein sogenannter Phasenübergang zweiter Ordnung). Der Grund, warum sich die 122 von den 1111 Verbindungen in diesem Punkt so unterscheiden, ist bis jetzt noch nicht klar. Die Strukturumwandlung kann mit Röntgenbeugung direkt beobachtet werden: Die rechte Hälfte der Abbildung 2 zeigt, wie sich ein Strukturreflex bei 205 K in zwei Reflexe aufspaltet. Die Kombination dieser Beobachtung mit weiteren Ergebnissen aus Muonenspektroskopie – mit der der Magnetismus direkt nachgewiesen werden kann – zeigt, dass die strukturelle Umwandlung und die magnetische Ordnung sehr stark miteinander gekoppelt sind.
Druckexperimente
Ein Erfolg versprechender Ansatz, um einen tiefen Einblick in die komplexe Physik solcher Systeme zu erhalten, ist, die Verbindungen gezielt zu manipulieren und den resultierenden Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften zu studieren. Zu den Manipulationsmöglichkeiten zählen der chemische Druck (d. h. die Verbindungen werden chemisch dotiert) oder der physikalische Druck. Beides wurde am MPI-CPfS erfolgreich durchgeführt, wobei hier nur auf die Experimente bei hohen Drücken eingegangen werden soll. Dazu werden auf einer sehr kleinen Probe (Länge < 0,5 mm) vier elektrische Kontakte angebracht. Durch die zwei äußeren wird der Strom ein- und ausgeleitet, zwischen den zwei mittleren wird der Spannungsabfall gemessen. Der ganze Aufbau wird dann in einer zylindrischen Druckzelle eingebaut, in der man Drücke bis zu 28.000 bar (entspricht 2,8 GPa) erzeugen kann. Beobachtet wird ein sehr starker Einfluss des Druckes auf die Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstandes, wie in Abbildung 3 für die Verbindung EuFe2As2 dargestellt [8]. Das reine EuFe2As2 zeigt analog zu SrFe2As2 eine strukturelle Umwandlung und gleichzeitig eine magnetische Ordnung des Eisens bei
TFe = 180 K, die sich in ρ(T) durch eine Spitze bei TFe abzeichnen. In dieser Verbindung ist Eu aber ebenfalls magnetisch, die magnetische Ordnung macht sich durch einen Knick in ρ(T) bei TEu = 20 K bemerkbar. Mit zunehmendem Druck verschiebt sich die zu TFe gehörige Spitze in ρ(T) zu tiefen Temperaturen, die magnetische Ordnung des Eisens und die strukturelle Umwandlung werden schwächer, um bei 2,3 GPa nahezu zu verschwinden. Dagegen bleibt die magnetische Ordnung von Eu unbeeinflusst bei 20 K. Allerdings tritt ab einem Druck von 2,03 GPa ein sprungartiger Abfall des Widerstandes unterhalb von 30 K auf, ein Zeichen für das Einsetzen von Supraleitung bei Tc = 30 K. Dieser supraleitende Zustand wird aber durch die magnetische Ordnung des Eu gestört, was sich in einem "Buckel" in ρ(T) bei 20 K bemerkbar macht. Diese Abbildung zeigt exemplarisch, dass auch eine einfache Messgröße wie der elektrische Widerstand sehr viel über die physikalischen Vorgänge in einer Verbindung offenbart: Die vorgestellten Daten spiegeln die komplexe Wechselwirkung zwischen Magnetismus des Eisen, Supraleitung der Eisen-Elektronen, und Magnetismus des Europiums wider.
Theoretische Analyse
Die Vielzahl der involvierten Elektronen und ihre quantenmechanischen Eigenschaften machen eine explizite Berechnung von Magnetismus und Supraleitung in solchen Verbindungen unmöglich. Deshalb geht man bei ihrer theoretischen Beschreibung in zwei Schritten vor. In einem ersten Schritt wird angenommen, dass man jedes Elektron für sich betrachten kann. Die Kraft, mit der die anderen Elektronen auf dieses eine Elektron wirkt, wird nicht im Detail ausgerechnet, sondern durch eine mittlere Kraft ersetzt, die von der Dichte der Elektronen am Ort des betrachteten Elektrons abhängt. Deshalb nennt man diese Methode Local Density Approximation (LDA). Damit lässt sich z. B. eine erste Abschätzung für die Energie und die Geschwindigkeit jedes Elektrons machen, aber auch die Gesamtenergie des ganzen Systems kann recht genau berechnet werden. Der Theoretiker gibt dabei verschiedene Szenarien vor, z. B. für den unmagnetischen Zustand, für verschiedene magnetische Zustände, für unterschiedliche strukturelle Umwandlungen und berechnet jeweils die Gesamtenergie für die unterschiedlichen Modelle. Das energetisch günstigste Modell, also das mit der niedrigsten Gesamtenergie, beschreibt den tatsächlichen Zustand (am besten). In Abbildung 4 wird dies für alle AFe2As2 Verbindungen, für zwei unterschiedliche Arten der magnetischen Ordnung (die mit AFM und SDW bezeichnet werden) als Funktion der strukturellen Verzerrung gezeigt [9]. Die Berechnungen ergeben, dass nur der beobachtete SDW Zustand zu einer strukturellen Verzerrung führt, nicht die anderen möglichen magnetischen Zustände. Die berechnete Stärke der strukturellen Verzerrung ist etwas höher als die experimentelle, der Trend vom kleinen Calcium (Ca) zum größeren Barium (Ba) stimmt dagegen näherungsweise mit dem Experiment überein. Damit liefert diese Rechnung einen theoretischen Beleg für eine direkte Kopplung zwischen Magnetismus und struktureller Umwandlung.
In einem zweiten Schritt werden dann Modelle für den Magnetismus und die Supraleitung aufgestellt, in denen die komplexen, quantendynamischen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Elektronen berücksichtigt werden können. Die Parameter, die in diesen Modellen eingehen, werden entweder aus den Experimenten oder aus den Ergebnissen der LDA Rechnungen entnommen. Mithilfe dieser Modelle können dann die experimentellen Daten im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Struktur, Magnetismus und Supraleitung genauer analysiert werden. Die am MPI-CPfS durchgeführten Rechnungen zeigen unter anderem, dass ein spezieller Effekt, den man Frustration nennt, keine so große Rolle spielt wie ursprünglich vermutet. Sie lassen aber darauf schließen, dass die starke Abhängigkeit der magnetischen Eigenschaften von der Kristallausrichtung, die in den Eisenpniktiden bei tiefen Temperaturen beobachtet wird, vermutlich mit einer räumlichen Ausrichtung der Eisen-Elektronen, einer sogenannten orbitalen Ordnung, zusammenhängt [10].
Aus solchen Analysen ergibt sich ein tieferer Einblick, was die Ursachen und die Mechanismen für die ungewöhnlichen Eigenschaften dieser Eisenpniktide sind. Die Erkenntnisse, die damit gewonnen werden, sind aber nicht nur für diese Klasse von Verbindungen relevant, sondern von allgemeiner Bedeutung für die Festkörperphysik. Außerdem können diese Erkenntnisse mit dazu beitragen, eines Tages Supraleiter mit noch höheren Übergangstemperaturen zu entdecken, die neue Anwendungen der Supraleitung ermöglichen. Um dahin zukommen, ist aber das Zusammenspiel von Forschern vieler unterschiedlicher Fachrichtungen, wie sie im MPI-CPfS praktiziert wird, unerlässlich.