Neue Phänomene durch stark wechselwirkende Elektronen
Forschungsbericht (importiert) 2007 - Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe
Einleitung
Die Abstoßung elektrisch gleich geladener Körper, beispielsweise zweier Elektronen, aufgrund der Coulombschen Kraft zählt zum physikalischen Grundwissen. Demgegenüber hat sich in weiten Bereichen der Festkörperphysik die Näherung wechselwirkungsfreier (also sich im Wesentlichen nicht beeinflussender) Elektronen überaus bewährt. Man betrachte nur die Erfolgsgeschichte der Halbleiterphysik, deren Grundregeln gut mit der Betrachtung einzelner, individueller Elektronen erklärbar sind. In Anbetracht der vergleichsweise starken Coulomb-Wechselwirkung mag die Anwendbarkeit einer die elektronischen Wechselwirkungen vernachlässigenden Theorie, die so genannte Theorie des freien Elektronengases, zunächst verwundern. Hier jedoch ist die abschirmende Wirkung der (elektrisch geladenen) Atomrümpfe, aus denen ein Kristallgitter aufgebaut ist, der Schlüssel zum Verständnis.
Darüber hinaus gibt es aber auch Materialien, deren Eigenschaften nicht durch die Theorie des freien Elektronengases beschrieben werden können. Dies gilt insbesondere für Untersuchungen bei sehr tiefen Temperaturen, da dann der Einfluss thermischer Anregungen reduziert ist. Wird die thermische Energie, die durch die absolute Temperatur T bestimmt wird, klein gegenüber der jeweiligen Energie der elektronischen Wechselwirkung, so hat man die Möglichkeit, aus diesen Wechselwirkungen resultierende Phänomene zu studieren. Das stetig wachsende Interesse – nicht nur von Physikern – an solchen Phänomenen erklärt sich damit, dass diese gerade nicht aus den einzelnen Bausteinen (in unserem Falle den Elektronen) zu erklären sind, sondern eine völlig neue Qualität darstellen können; so wie die Psyche eines Menschen schwerlich durch die einzelnen Atome, aus denen er aufgebaut ist, erklärt werden kann. Dieser qualitative Sprung verbirgt sich hinter dem Begriff „emerging behavior“. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Supraleitung, also die widerstandslose Stromleitung. Sie kommt durch eine attraktive Wechselwirkung zwischen den Elektronen, die über die Schwingungen des Kristallgitters (Phononen) vermittelt wird, zustande. Die Elektronen bilden so genannte Cooper-Paare. Auf dieser Grundlage basiert die BCS-Theorie, benannt nach deren Begründern John Bardeen, Leon Cooper, and Robert Schrieffer. Heute reicht die Spanne der bekannten, auf starken elektronischen Korrelationen beruhenden Phänomene vom kolossalen Magnetowiderstand bis zum fraktionalen Quanten-Halleffekt.
In den Schwere-Fermionen-Metallen findet man aufgrund der starken elektronischen Korrelationen eine drastische Erhöhung der effektiven Masse der freien Ladungsträger, die das Tausendfache der Masse freier Elektronen erreichen kann. Ursache hierfür ist eine magnetische Wechselwirkung – der so genannte Kondo-Effekt – welche die frei beweglichen Elektronen an die lokalen magnetische Momente und damit an die fest im Gitter verankerten Elektronen bindet, sodass die magnetischen Momente effektiv abgeschirmt werden. Das Verhalten dieser Metalle lässt sich nach Landau oft damit beschreiben, dass man so genannte Quasiteilchen aus den Elektronen und deren Wechselwirkungen konstruiert und diese anstelle der freien Elektronen betrachtet. Ist eine solche Beschreibung anwendbar, so spricht man von Landau-Fermiflüssigkeits-Verhalten.
Darüber hinaus halten aber Schwere-Fermionen-Metalle oft noch weitere Überraschungen bereit. Mehr als 20 Vertreter dieser Materialgruppe sind Supraleiter, deren Eigenschaften allerdings nicht den Vorhersagen der BCS-Theorie gehorchen. Dies betrifft sowohl den Mechanismus, der zur Bildung der Cooper-Paare führt, als auch die Symmetrie des so genannten supraleitenden Ordnungsparameters: Bestimmte Materialeigenschaften können davon abhängen, entlang welcher kristallographischen Richtung gemessen wird. In diese Gruppe der „unkonventionellen Supraleiter“ fallen im Übrigen auch die seit 20 Jahren besonders eingehend untersuchten Hochtemperatur-Supraleiter auf Basis der Kuprate.
Eines der spannendsten Phänomene, mit dem einige Schwere-Fermionen-Metalle Experimentalphysiker wie auch Theoretiker in Atem halten, ist das des quantenkritischen Verhaltens. Dieses wird beobachtet, wenn das Material einen kontinuierlichen Phasenübergang – beispielsweise von einer magnetisch geordneten in eine Landau-Fermiflüssigkeits-Phase – am absoluten Temperatur-Nullpunkt zeigt. In den allermeisten dieser Substanzen existiert zwischen den lokalen magnetischen Momenten eine antiferromagnetische Wechselwirkung (üblicherweise ist dies die so genannte RKKY- Wechselwirkung, die ebenfalls über die Leitungselektronen vermittelt wird). Diese steht in Konkurrenz zur oben angesprochenen lokalen Kondo-Wechselwirkung. Die relative Bedeutung dieser beiden konkurrierenden Wechselwirkungen zueinander kann mittels experimenteller Parameter (wie z.B. chemische Dotierung, Druck, Magnetfeld) beeinflusst werden. Bei hinreichend delikater Konkurrenz der beiden Wechselwirkungen kann man durch gezielte Änderung eines dieser Parameter den oben beschriebenen Phasenübergang bei T = 0 – zumindest im Gedankenexperiment – herbeiführen. Es handelt sich dabei um den kontinuierlichen Übergang zweier im Wettstreit befindlichen Ordnungszustände, der stattfindet, wenn die zugehörigen Fluktuationen („Nullpunktsschwingungen“) eine kritische Größe überschreiten. Der kontinuierliche Quantenphasenübergang ist also eine Folge der Heisenbergschen Unschärferelation.
Die experimentelle Beobachtung, dass quantenkritisches Verhalten und unkonventionelle Supraleitung oft gemeinsam auftreten, hat zu der Vermutung geführt, dass möglicherweise der Wechselwirkungsmechnismus in diesen Supraleitern magnetischer Natur ist, die Bildung der Cooper-Paare also nicht phononisch, sondern durch niederenergetische antiferromagnetische Fluktuationen vermittelt wird [1].
Intermetallische Verbindungen CeMIn5 (M = Co, Ir)
Ein kritischer Punkt für derartige Untersuchungen ist die Auswahl eines geeigneten Materials. Hier bieten sich die intermetallischen Verbindungen CeMIn5 (M = Co, Ir) an. Deren Kristallstruktur kann man sich aus abwechselnden Schichten von CeIn3 und MIn2, die entlang der kristallographischen c-Richtung übereinander gestapelt sind, aufgebaut vorstellen (Abb. 1). Man vermutet, dass diese Schichtstruktur eine Ursache für die vergleichsweise hohe supraleitende Sprungtemperatur Tc (die Temperatur, bei der das Material bei Abkühlung supraleitend wird) dieser Materialklasse darstellt. Für CeCoIn5 wurde die bislang höchste Sprungtemperatur von Tc = 2,3 K unter den auf Cer-basierenden Schwere-Fermionen-Metallen bei Normaldruck gefunden. Darüber hinaus legt die Schichtstruktur eine Richtungsabhängigkeit bestimmter magnetischer und Transporteigenschaften dieser Materialklasse sowie eine gewisse Ähnlichkeit mit den bereits erwähnten Kuprat-Supraleitern nahe.
Die besagte Richtungsabhängigkeit des Transports zusammen mit anderen Beobachtungen, auf die hier nicht eingegangen werden soll, impliziert, dass es sich hier um unkonventionelle Supraleiter handelt. Es gibt experimentelle wie theoretische Anhaltspunkte dafür, dass der supraleitende Ordnungsparameters im CeMIn5 wie in den Kuprat-Supraleitern der Symmetrie einer d-Welle mit Cooper-Paaren im Spin-Singlet-Zustand entspricht. Vermutlich wird die Form des Ordnungsparameters ebenso wie der energetische Kopplungsmechanismus für die Bildung von Cooper-Paaren durch die kristallographische Schichtstruktur begünstigt. Diese Spekulationen waren für Kollegen vom Los Alamos National Laboratory im Jahr 2001 der Anlass zu detaillierten Untersuchungen des CeCoIn5 [2] und wurden in der Folgezeit immer wieder bestätigt. Mehr noch, mit konsequenter Entwicklung dieser Ideen wurde ein Tc ≈ 18.5 K in PuCoGa5 gefunden [3]. Die Ursache für die hohe supraleitende Übergangstemperatur wird im stärker delokaliserten Charakter der 5f-Elektronen in den Transuranen (z.B. U, Pu, Np) im Vergleich zu den 4f-Elektronen der Seltenen Erden (wie z.B. Ce) vermutet.
Die Existenz von antiferromagnetischen Spin-Fluktuationen sowie eines Magnetfeld-induzierten Quantenphasenübergangs konnte durch verschiedene Messungen belegt werden [4,5]. Darüber hinaus zeigen Proben, in denen wenige Prozent In durch Cd ersetzt wurden, antiferromagnetische Ordnung. Daher geht man davon aus, dass der Antiferromagnetismus im CeCoIn5 prinzipiell vorhanden wäre, würde er nicht durch die Ausbildung von Supraleitung verhindert.
Messungen des elektronischen Transports
Messungen des Magnetotransports geben Aufschluss über die Eigenschaften der Leitungselektronen, die die oben besprochenen Wechselwirkungen vermitteln. Insbesondere der Hall-Effekt, der auf der Ablenkung bewegter Elektronen im Magnetfeld, also der Lorentzkraft beruht, kann Einblick in die Natur eines Quantenphasenübergangs geben [6]. Messungen des Hall-Effekts am CeCoIn5 bei tiefen Temperaturen sind exemplarisch in Abbildung 2 gezeigt. Im supraleitenden Zustand bei T < 2,3 K verschwindet der Hallwiderstand, ρxy = 0, unterhalb einer kritischen Feldstärke Hc2 ( Abb. 2a). Der detaillierte Ausschnitt (Abb. 2b) zeigt überdies eine nichtlineare Feldabhängigkeit des Hallwiderstandes für bestimmte Temperaturen. Um diese Abhängigkeit näher zu untersuchen, wird dessen differentielle Änderung im Magnetfeld, der so genannte Hallkoeffizient RH = ∂ρxy/∂H, betrachtet. Letzterer ist für verschiedene Werte des Kontrollparameters Druck im hier interessierenden Temperaturbereich inAbbildung 3 dargestellt. Im Vergleich tritt eine Anomalie (d.h. ein verringerter Wert von RH) bei 0,12 K und 0,2 K deutlich hervor, die jedoch mit zunehmendem Druck kleiner und bei 1,2 GPa ganz unterdrückt wird. Aus anderen Messungen ist bekannt, dass sich CeCoIn5 ab etwa diesem Druck wie eine Landau-Fermiflüssigkeit verhält. Außerdem stimmt der Wert |RH| ≈ 0,6 ∙ 10-9 m3/C, der abseits dieser Anomalie gefunden wird, hervorragend mit dem für LaCoIn5 gemessenen Wert überein. LaCoIn5 enthält keine 4f-Elektronen und ist bei tiefen Temperaturen ein normales Metall, verhält sich also wie eine Landau-Fermiflüssigkeit. Deshalb ist es überaus wahrscheinlich, dass die Anomalie im RH des CeCoIn5 aus antiferromagnetischen Spin-Fluktuationen resultiert und letztere die Abweichungen vom Landau-Fermiflüssigkeitsverhalten (so genanntes Nicht-Fermiflüssigkeitsverhalten) bewirken.
Damit kann ein Temperatur-Magnetfeld-Phasendiagramm konstruiert werden (Abb. 4). Man findet Supraleitung für Felder kleiner als die kritische Feldstärke (Hc2 ≈ 4,95 T bei T = 0, bei den hier dargestellten tiefen Temperaturen ist Hc2 nur schwach temperaturabhängig). Aber auch etwa 1 T oberhalb von Hc2 wird der Hallwiderstand von supraleitenden Fluktuationen beeinflusst (vgl. Abb. 2b) und daher nicht ausgewertet (schraffierter Bereich in Abbildung 4). Die Anomalie in RH zeigt den Übergang vom Landau-Fermiflüssigkeitsverhalten, das bei tiefen Temperaturen vorliegt, zum Nicht-Fermiflüssigkeitsverhalten an. Damit wird anschaulich klar, warum beispielsweise bei 60 mK (Abb. 3a) keine Anomalie gefunden wird: der Übergang wird durch die Supraleitung überdeckt. Dieses Landau-Fermiflüssigkeitsverhalten bewirkt auch, dass bei tiefsten Temperaturen der Hallwiderstand zum Koordinatenursprung extrapoliert (gestrichelte Linie in Abb. 2 a).
Mit der Zuordnung der Anomalie in RH zu Abweichungen vom Landau-Fermiflüssigkeitsverhalten kann man aus deren Temperatur-Feld-Abhängigkeit im Phasendiagramm auf die Lage des Quantenphasenübergangs bei T = 0 schließen (gestrichelte Linie in Abb. 4). Die Extrapolation ergibt etwa 4,1 T, also deutlich kleiner als Hc2. Dies könnte bedeuten, dass eine bestimmte Gruppe von Elektronen in Magnetismus und quantenkritisches Verhalten, nicht aber in die Supraleitung involviert ist. Dies heißt aber nicht, dass die antiferromagnetischen Fluktuationen nicht die unkonventionelle Supraleitung vermitteln können; letztere werden nur nicht genau bei Hc2 kritisch. Unsere Messungen lassen auch vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen der Feldstärke, bei der der Quantenphasenübergang auftritt, und der Energie der Kondo-Wechselwirkung der einzelnen Ionen besteht.
Die gegenwärtig durchgeführten Messungen am CeIrIn5 deuten auf interessante Querverbindungen zwischen CeMIn5 und den Kuprat-Supraleitern hin. Abschließend sei angemerkt, dass sich die angeführten Untersuchungen nahtlos in die Forschung zum Verständnis quantenkritischer Phänomene am Institut einfügen: Hier werden hochreine Einkristalle von Schwere-Fermionen-Metallen, seien sie schon etwas länger bekannt (z.B. CeCu2Si2 [8]) oder erst kürzlich gefunden (wie YbRh2Si2 [9,10]) mit einer Vielzahl geeigneter Methoden – vom thermoelektrischen Transport über Neutronenstreuung bis Rastertunnelspektroskopie – in einem weiten Parameterbereich untersucht. Außerdem pflegen wir enge Kontakte zur theoretischen Physik, um möglichst umfassende Einblicke in dieses spannende Forschungsgebiet zu erhalten.