Pressemeldung: Enormer magnetokalorischer Effekt und Kühlung durch adiabatische Entmagnetisierung mit YbPt2Sn

27. Oktober 2015

Dongjin Jang, Thomas Gruner, Alexander Steppke, Keisuke Mitsumoto, Christoph Geibel & Manuel Brando

 

Unvorhergesehene Ereignisse haben häufig negativen Einfluss auf zukünftige Entwicklungen. Hier sind Forscher gefordert kreative Lösungen zu finden, um ihre Arbeit erfolgreich fortführen zu können. Dresdner Wissenschaftler haben ein neues Material entdeckt, mit dem man Temperaturen bis fast zum absoluten Nullpunkt erzeugen kann.

 

            In den Materialwissenschaften werden Proben mithilfe von Quantenflüssigkeiten, wie die beiden Isotope des Edelgases Helium, 4He und 3He, fast bis zum absoluten Nullpunkt (-273.15°C) abgekühlt. Besonders für Temperaturen unterhalb von 2K (-271.15°C) ist das extrem seltene 3He bislang das entscheidende Zugpferd. Weil 3He nicht natürlich vorkommt und nur als Nebenprodukt der Kernspaltung künstlich erzeugt werden kann, ist ein Versorgungsengpass vorprogrammiert. Zudem konkurrieren verschiedene Bereiche um das wenige verfügbare 3He Gas, wobei die Grundlagenwissenschaften nur einen Anteil von 1.3% der verfügbaren Gesamtmenge benötigen.

 

            Eine sehr elegante Lösung, ohne diese schwer verfügbaren Ressourcen auszukommen, liefern die adiabatischen Entmagnetisierungskryostate (AEK). Sie basieren nicht auf dem Einsatz von 3He, sondern nutzen die starke Entropieänderung von magnetokalorischen Materialien, d.h. nur durch die Änderung eines äußeren Magnetfeldes kann das Material zum Kühlen eingesetzt werden. Im Vergleich zu den aufwändig konstruierten Maschinen, die 3He verwenden, besitzen Entmagnetisierungskryostate ein deutlich robusteres Design und können ohne bewegliche Teile auskommen. So werden vergleichbare Geräte als Ersatz für Haushaltskühlschränke oder in der Raumfahrt in der verwendet.

 

            Obwohl sie bereits vor 80 Jahren entdeckt wurden, finden heutzutage bei tiefen Temperaturen immer noch fast ausschließlich paramagnetische Salze als magnetokalorische Materialien Verwendung. Jedoch haben Salze entscheidende Nachteile: Sie reagieren sehr empfindlich auf Feuchtigkeit. Auf Dauer können Salze deshalb nur eingesetzt werden, wenn sie von hermetisch abgedichteten Gefäßen geschützt werden. Weil in Salzen die thermische Isolation enorm groß ist, müssen sie von einem komplizierten Geflecht aus Metalldrähten durchzogen werden, um möglichst rasch große Wärmemengen aufzunehmen. Das hat den Nachteil, das die effektive Entropiedichte im Gefäß kleiner wird.

 

            Bis heute wurden Metalle kaum als geeignete Materialien in Betracht gezogen, weil sie schnell dazu neigen, ihren Paramagnetismus bei magnetischen oder supraleitenden Phasenübergängen zu verlieren.  Unsere jüngste Entdeckung, YbPt2Sn, bildet hier eine große Ausnahme. Obwohl es ein guter Leiter ist, bleibt es erstaunlicherweise paramagnetisch bis zu einer Temperatur von 0.25  K. Seine volumenbezogene Entropiedichte ist dreimal größer als die typischer paramagnetischer Salze. Wir konnten mit einem Prototyp experimentell zeigen, dass nur 10g YbPt2Sn ausreichen, um einen Probenaufbau aus 30g Messing von 2K auf 0.2K abzukühlen. Wegen seiner metallischen Eigenschaften kann YbPt2Sn einfach in beliebige Formen gegossen werden (siehe Video Clip in Nature Communications online). Dadurch kann YbPt2Sn beispielsweise auch in kommerziellen Kryostaten eingesetzt werden (siehe Abbildung). Unsere Entdeckung liefert eine einfache und ressourcenschonende Alternative zu 3He Kühlsystemen und liefert neuen Anreiz, die Erforschung neuer metallischer magnetokalorischer Materialien voranzutreiben.

 

DJ, TG, AS, MB / CPfS

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